Der VfB Stuttgart bleibt erstklassig. Doch die Rettung in der Relegation sollte nicht darüber hinwegtäuschen, was in dieser Runde alles schief lief. Und welche Schlüsse zu ziehen sind. Ein Kommentar von George Moissidis.
Rettung in letzter Sekunde: Der VfB Stuttgart und Trainer Sebastian Hoeneß.
IMAGO/Pressefoto Baumann
Der Abschluss dieser Achterbahnfahrt passt irgendwie zur gesamten Spielzeit. Wie oft hatten die Stuttgarter die Chance auf den Klassenerhalt „in der eigenen Hand“ und dabei vergessen, dass ihnen Flutschfinger gewachsen sind. Auch in der Relegation sollte der VfB tun, was der VfB gerne tut: sich das Leben schwer machen. Mit einem furiosen 3:0 im Hinspiel gegen den HSV gestartet, brauchte es im Rückspiel mal wieder einen Rückstand und Druck, um die Partie gegen die mit beschränkten Mitteln kämpfenden Hanseaten festzuhalten.
Vier Trainer für ein Ziel
Unter dem Strich bleibt ein glückliches Ende einer verkorksten Saison in einem Finale mit Überlänge. Nicht einmal Sebastian Hoeneß gelang es, die VfB-Profis vor sich und ihren labilen Leistungen komplett zu beschützen. Es mag an diesem Montag sicher keiner hören: Doch im „Glanz“ des Ligaverbliebs sollte nicht vergessen werden, dass diese Mannschaft vier Trainer brauchte, um ihr Ziel zu erreichen.
Stuttgart 2022/23, ein Kader im Stile eines E-Autos: Hochglanz auf Beinen mit endloser Zukunftsperspektive – aber begrenzter Reichweite. Profis mit der Befähigung zu Kurzzeit-Höchstleistungen auf Kosten der Gesamtstrecke. Ein rund 60 Millionen Euro teurer Fuhrpark, der fast auf dem Schrottplatz überladener Versprechungen gelandet wäre. Erst ging das Ziel des Klubs, in dieser Spielzeit ungefährdet durch die Saison zu kommen, in Flammen auf, ehe unter größter Mühe in der Relegation ein drohender Flächenbrand gelöscht werden konnte. Egal, wie sehr und mit welchem Mitteln man es auch versuchte: Das einzige, das meistens zu schnell ausbrannte, war die Bereitschaft einiger Spieler, ihrer Reputation in Gänze gerecht zu werden.
Unter welchem Trainer aus dem Kreis Pellegrino Matarazzo, Michael Wimmer, Bruno Labbadia oder Hoeneß auch immer, durch die gesamte Saison wiederholten sich die Fehlermuster: Frühen Gegentoren folgten späte Gegentore, individuellen Fehlern mannschaftstaktische Fehler, euphorisierenden Aufholjagden biederer Sicherheitsfußball, eine schnell einsetzende Selbstzufriedenheit, Grüppchenbildung und die Neigung zu einer wenig ausgeprägten Ernsthaftigkeit. Ausbaden mussten es die Trainer.
Der Kader: Fast alles muss raus
Der vierte Coach schaffte die Saison-Rettung letztlich und steht jetzt vor der Herausforderung, erst einmal gemeinsam mit Sportchef Fabian Wohlgemuth den auch wegen der Leih-Rückkehrer überfüllten Kader mit seinen 35 Spielern auf links zu drehen. Fast alles muss raus, nur ein Teil darf bleiben. Das Credo, junge Talente zu verpflichten, diese auszubilden und dann teuer zu verkaufen, muss dringend überarbeitet werden. Das Anforderungsprofil bisher war eindeutig zu optimistisch ausgelegt. Die Frage, wie jung ist eigentlich jung, wurde zu oft mit jung, jünger, VfB beantwortet. Die Hoffnung, dass aus Masse irgendwann auch Klasse würde, hat sich für den VfB nicht erfüllt. Ebenso wenig, wie der ausgeprägte Hang zu ausländischen Teenager-Talenten, von denen nur wenige wirklich noch Zukunft beim VfB haben. Viele konnten einfach nicht so schnell reifen, wie der Ast, an dem sie hingen, unter der Last des harten Wettbewerbs der Bundesliga zerbrach.
Bundesliga-Relegation 2022/23
Zwei Japaner als Traum der Trainer
Keines der als Toptalente deklarierten Jungprofis aus Australien, der Türkei oder Dänemark schaffte den Durchbruch. Nicht mal in Ansätzen. Aus der eigenen Akademie stieg ebenso niemand auf, aus Frankreich, Griechenland, England oder Portugal taten dies nur wenige. Dass ausgerechnet das Schnäppchen Hiroki Ito, ursprünglich für den VfB II, aber von Matarazzo zu den Profis geholt, all die vermeintlichen Stars übertrumpfte, ist bezeichnend.
Aus der 2. Liga Japans kommend, machte der heute 24-Jährige gemeinsam mit Kapitän und Landsmann Wataru Endo allen vor, was Professionalität bedeutet. Fleißig, zuverlässig, kaum verletzt oder krank: Die beiden Japaner personifizieren den Traum eines jeden Trainers. Während sich Teile der Gruppe als überveranlagte, aber auch überschätzte und sich selbst gerne überschätzende Jungstars präsentierte.
Die Hoffnung heißt Hoeneß
Ein Bankrott mit Ansage wurde gerade noch abgewendet. Hoffnung auf Besserung ist vorhanden und berechtigt. Dass man mit Hoeneß wieder einen jungen Trainer der heutigen Generation ligaunabhängig bis Juni 2025 verpflichtet hat, war ein erwiesen guter Schachzug. Der 41-Jährige hatte jetzt ausreichend Zeit, die Mannschaft, die nicht die seine ist, mit all ihren Stärken und Schwächen, ihren Macken, Makeln und Marotten kennenzulernen. Sportlich wie menschlich.
Er hat daraus die richtigen Schlüsse gezogen, was an seiner positiven Bilanz abzulesen ist. Er wird weitere daraus ziehen, wenn es an die Kaderplanung geht. Stuttgart braucht mehr Sein als Schein, etwas mehr Gegenwart als Zukunft. Sonst könnte es dem Traditionsverein von 1893 so gehen, wie so vielen anderen seiner Art vor ihm. Gefangen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen guten Vorsätzen und Ansätzen, aber mit schlechten Entscheidungen und noch schlechteren Perspektiven.