NBA – Warum die Chicago Bulls nach Jordan erfolglos blieben – NBA – Basketball


Michael Jordan hatte die Worte „Game of Basketball“ und „Retire“ kaum zum zweiten Mal ausgesprochen, da gehörten die Bulls zum schwächsten, was die NBA zu bieten hatte. Ein Jahrzehnt beinahe alles dominiert, binnen weniger Monate beinahe alles verlernt. Plötzlich war kaum noch jemand da. Die Starting Five beim Season Opener: Randy Brown, Ron Harper, Brent Barry, Toni Kukoc, Bill Wennington. Chicagos Hallensprecher Ray Clay sah daher davon ab, das Team als „Your NBA World Champion“ vorzustellen.

Von 62 Siegen stürzten die Bulls in Jahr eins P.J. (Post Jordan) auf 13 ab. Dafür häufte Chicago in der Lockout-Saison 37 Niederlagen an, erzielten gegen Miami schwindelerregende 49 Punkte. Es folgten 17, danach 15 Siege. Über sechs Jahre verloren die Bulls 341 Mal, bei 119 Siegen. Ganz kurz spielte sogar John Starks (JOHN STARKS) in Chicago. Die Finals haben die Bulls seither nicht mehr erreicht. Aber weshalb? Der endlose Weg der Chicago Bulls zurück auf den Olymp in 3 Akten (and counting)…

Chicagos Stolpersteine nach Michael Jordan: 18 Jahre Krause, 17 Jahre Paxson, Reinsdorf

Gelöste Abende in harmonischer Zweisamkeit verlebten Michael Jordan und Jerry Krause wohl nie. Dass Krause einen Anteil an einer der größten Dynastien der NBA-Geschichte besaß, steht ebenso wenig infrage. Gleichzeitig plagte Krause wohl, dass Jordan heller strahlte. Er wollte es allein versuchen, seinen eigenen Coach wählen, das Team ohne einen der besten Spieler der Geschichte aufbauen – und hatte sich einen Vertrauensvorschuss verdient.

Rechtfertigen konnte Krause ihn nie. Einerseits fand er nicht die richtigen Spieler, andererseits zündete seine Trainer-Vision nie. Nach drei Jahren voller Niederlange trat Tim Floyd am 24. Dezember 2001 zurück. Es hatte nicht funktioniert. Zudem tauschte Krause permanent seine Ideen, Philosophien und Grundsätze aus. Brand war gut, aber nicht gut genug. Es folgten Chandler und Curry, dazu unzählige Trades. Ein konstante Entwicklung setzte nie ein. Im Frühjahr 2003 beendete Besitzer Jerry Reinsdorf Krause’ Zeit in Chicago, auch wegen gesundheitlicher Gründe.

John Paxson: vielversprechender Start, schwieriges Ende

Auf rund 18 Jahre Krause folgte 17 Jahre John Paxson. Es klingt heute fast paradox: eine Verpflichtung, die die unmittelbare Zukunft der Bulls in maximaler Geschwindigkeit ins Positive drehte. Als neuer GM erdachte Paxson eine Philosophie und ordnete ihr alles unter. Intensiv, kompromisslos sollten die neuen Bulls spielen. Maximale Disziplin, harte Arbeit und Defense standen über allem. Zudem sollten Gewinner kommen. Also verpflichtete Paxson mit Scott Skiles nicht nur einen Disziplin-Fanatiker, beim Draft wählte er zunächst ausschließlich Spieler, die am College um Titel gespielt hatten. Die Baby Bulls entstanden.

Joakim Noah zu draften, Tom Thibodeau zu verpflichten, im Kern die kompromisslose, Defense-first-Mentalität beizubehalten, war ebenfalls positiv. Je länger Paxson steuerte, desto seltsamer erschien jedoch sein Kurs. Dennoch musste er erst nach 17 Jahren gehen.

Jerry Reinsdorf ist seit 1985 Besitzer der Chicago Bulls.
Jerry Reinsdorf ist seit 1985 Besitzer der Chicago Bulls. picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Jerry Reinsdorf: das Business muss stimmen

Am Ende fällt Owner Jerry Reinsdorf selten durch überstürzte Entscheidungen auf. Stimmt das Business, erscheint er zufrieden. Entsprechend, so wirkt es, dürfen Front Offices weiterarbeiten, sobald sie einen gewissen Mindeststandard erfüllen. Voll soll das United Center schon sein. Zu viel zahlen wollen die Bulls nicht. Die Luxury Tax scheint Reinsdorf zu meiden wie Scottie Pippen den freundlich Post-Dunk-Handshake mit Patrick Ewing.

Selten spielen sich die Bulls daher wie ein Team aus dem drittgrößten Markt der USA, wie eine legendärsten Franchises der NBA-Geschichte auf. Die Meisterschaft? Hat Reinsdorf schon sechs Mal gewonnen. Es muss nicht gleich Matt Ishbia sein, ein wenig mehr Umtriebigkeit und Wagnis könnte den Bulls aber nicht schaden.

Chicagos Stolpersteine nach Michael Jordan: Verletzungen und Tragödien

Hattest du mal einen, der all deine Hoffnungen in sich aufsaugt, um sie noch größer zurückzugeben, wünschst du dir genau diesen Zustand zurück. Einen neuen MJ fand Chicago nie. Gleichzeitig gab es aussichtsreiche Kandidaten, denen das Schicksal jedoch mit Anlauf Stöcke zwischen die Beine schmiss.

Jay Williams und der Motorradunfall

Als Nummer-2-Pick fand Jay Williams in Chicago naturgemäß einen bunten Blumenstrauß an Erwartungen vor. Seine Rookie-Saison ließ hoffen. Dann folgte der 19. Juni 2003. Ohne Fahrerlaubnis in Illinois, ohne Einverständnis der Bulls (sein Vertrag verbot es sogar), ohne Helm rollte er auf seiner Yamaha YZF-R6 durch Chicagos North Side. Zu schnell. Williams kollidierte mit einem Laternenpfahl, brach sich die Hüfte, riss sich mehrere Bänder im Knie, darunter das Kreuzband, durchtrennte sich den Hauptnerv im Bein. Er spielte nie wieder für die Bulls.

Nach einem 0-9-Start waren die Baby Bulls heißer als MJ einst im Boston Garden. Im Dezember und Januar hielten sie Gegner in 26 Spielen in Folge unter 100 Punkten. Vorne? Richtete Eddy Curry vieles. Nach schwerem Start hatte das Front Office laut „Jordan Rules“-Autor Sam Smith sogar vor, Curry mit einem Maximal-Vertrag auszustatten. „Er ist, was wir dachten“, hätte man sich gefreut. Es folgte ein Spiel in Charlotte. „Du konntest sehen, wie sein Herz pumpt“, erzählte der Veteran Antonio Davis später The Ringer. Ärzte stellten eine Hypertrophe Kardiomyopathie fest. Vereinfacht: einen verdickten Herzmuskel, der lebensbedrohlich sein kann. Von einem Moment auf den anderen änderte sich für Curry alles. Zwar gaben ihm die Ärzte im Sommer wieder grünes Licht, er wollte sich jedoch keinem DNA-Test unterziehen, um festzustellen, ob die Erkrankung genetisch war. Chicago tradeten ihn darauf nach New York.

2011 wurde Derrick Rose im Trikot der Chicago Bulls MVP. Nur wenige Monate danach zog er sich die folgenschwere Knieverletzung zu, die seine restliche Karriere entscheidend verändern sollte.
2011 wurde Derrick Rose im Trikot der Chicago Bulls MVP. Nur wenige Monate danach zog er sich die folgenschwere Knieverletzung zu, die seine restliche Karriere entscheidend verändern sollte. imago sportfotodienst

Derrick Rose und das Knie

2008 lief an wie 1984. Mit Derrick Rose bekamen die Bulls nach Jordan endlich wieder einen Franchise-Player. Binnen kürzester Zeit sprintete sich Rose in die absolute Elite. 2011 standen die Bulls sogar zum ersten Mal seit MJ in den Conference Finals. Es sollte eine Lehrstunde auf dem Weg zurück in den Grant Park sein. Stattdessen zerschellte die rosige (no Pun…) Zukunft an Spiel 1 der 2012er Playoffs. Kurz vor Ende riss Rose’ Kreuzband. Über ein Jahr pausierte der Point Guard, kehrte zurück, verletzte sich wieder, kehrte wieder zurück. Nur der alte Rose war Geschichte. Er vertraute seinem Körper nicht mehr – und der ließ ihn immer wieder im Stich.

Lonzo Ball und der Knorpel

Nicht, dass die Strategie zwingend aufgegangen wäre. Nicht dass die Ära DeRozan-Ball-LaVine Chicago einer Meisterschaft maximal nahe gebracht hätte. Fakt ist jedoch, dass die Bulls die Eastern Conference anführten, als Lonzo Ball sein letztes Spiel bestritt. Sicher ist, dass das Team mit dem Point Guard extrem gut funktionierte. Lonzo war der Kleber, der vorne und hinten alles zusammenhielt. Er verschmolz DeRozan und LaVine, machte das Feld breit und führte mit Alex Caruso die Defense an. Was mit Ball möglich gewesen wäre? Wohl weder Finals noch Meisterschaft. Die Richtung hätte sich jedoch deutlicher gezeigt, mögliche Trades und Signings hätte sie mit mehr Nachdruck in den Vordergrund gespült.

Chicagos Stolpersteine nach Michael Jordan: Schlechte Entscheidungen

Es steht in der Natur der Sache, dass sich Front Offices und Besitzer hin und wieder, teils regelmäßig irren. Sport ist weder plan- noch vorhersehbar. Einige Entscheidungen standen den Bulls dennoch im Weg. Ein kleiner Auszug:

•   Tyrus Thomas statt LaMarcus Aldridge: 2006 zogen die Bulls an zweiter Stelle LaMarcus Aldridge. Gute Sache eigentlich. Fand John Paxson nicht wirklich. Er tradete Aldridge für Tyrus Thomas nach Portland. Nicht nur mit Blick auf die Karriereverläufe fragwürdig. Inside-Scoring hätte den Bulls auch damals gut getan.

Ron Artest und Brad Miller für Jalen Rose: Vielleicht ließen sich die Bulls von der Dysfunktionalität des Teams blenden und wollten Veränderung. Jalen Rose war in Indiana sehr, in Chicago immer noch richtig gut. Ein Veteran mit Finals-Erfahrung hilft zudem jungen Teams. Aber was wäre gewesen, hätte sich Ron Artest in Chicago, der Arbeiterstadt, zu dem Spieler entwickeln dürfen, der er wenig später bei den Pacers war?

Doug McDermott statt Yusuf Nurkic und Garry Harris: Die Bulls wollten Doug McDermott. Unbedingt. Was grundsätzlich halbwegs sinnvoll klingt – Shooting! -, endete komplett ernüchternd. Sowohl Nurkic als auch Harris kamen schneller und besser in der Liga an als McDermott

Mangelnde Geduld und Talententwicklung: Elton Brand verschifften die Bulls bereits nach seinem zweiten Jahr, um Tyson Chandler zu draften. Lauri Markkanen setzten sie nie entsprechend seiner Fähigkeiten ein und erklärten das Experiment frühzeitig für beendet. Ergebnis bekannt.

Die Jimmy Butler Saga: Ein Talent wie Jimmy Butler am Ende der ersten Runde zu ziehen, ist nicht selbstverständlich. Umso größer sollte der Antrieb sein, es zu maximieren. Nicht in Chicago. Nie stellte das Front Office Shooting um Butler. Stattdessen kamen mit Rajon Rondo und Dwyane Wade zwei weitere Alphas (noch eine fragwürdige Entscheidung), und wenig später spielte Butler in Minnesota.

Der Vucevic-Trade: Möglicherweise überstürzten es Arturas Karnisovas und Marc Eversley ein wenig. Mit LaVine als All Star wollten sie schnellstmöglich den nächsten Schritt gehen. Ob Nikola Vucevic der Richtige war? Patrick Williams’ Entwicklung tat die Abkürzung nicht gut.

Pick-Opfer: Auf ihrem Weg zurück zur Competiveness (®AKME) wollten die Bulls nicht den Umweg über den Draft gehen. Sie tradeten Picks für Spieler. Nun fehlt (größtenteils) Spielraum für weitere Deals, zudem Perspektive durch junges Talent.

•   Untätigkeit: Natürlich sah mit Lonzo Ball alles besser aus. Nur wusste niemand wann, ob und wie er zurückkehren würde. Also warteten Karnisovas und Eversley einfach ab. Trade-Deadlines kamen, Free Agencies gingen. Die Bulls? Taten (fast) nichts. Das Front Office ließ einfach alles unangetastet – als wüssten sie plötzlich nicht mehr, wie sie ihre Grundidee an die neu Situation anpassen sollten.

© – by kicker.de

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