Carlos Kaiser: Der beste Spieler, der niemals spielte – Fussball



Finten ohne Ball: 26 Jahre lang gab sich Carlos Kaiser, inzwischen 60 Jahre alt, als Fußballer aus. Dabei war alles nur ein riesengroßer Schwindel.


Mit dem Namen fing alles an. Kaiser, so heißt Carlos Henrique Raposo nicht wirklich. Doch angeblich zauberte er als Nachwuchsfußballer so groß auf, dass sich manch einer an Franz Beckenbauer erinnert fühlte. Carlos‘ Version der Geschichte. Jugendfreund Luiz Maerovitch vertritt die Variante, dass der junge Carlos stets ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen hatte – und die Leute seinen Körperbau mit den bauchförmigen Flaschen der Biermarke „Kaiser“ verglichen.


Die Dokumentation „Kaiser! The Greatest Footballer Never to Play Football“ nähert sich einer Fabelgeschichte auf die wohl sinnvollste Weise an. Sie lässt sowohl den Protagonisten zu Wort kommen als auch zahlreiche Begleiter, die dessen außergewöhnlichen Weg zu zweifelhaftem Ruhm miterlebt haben.

Im Nachtleben baut Kaiser seinen Ruf auf


Renato Gaucho ist auf Carlos‘ Seite. Der grandiose Rechtsaußen zählt in den 1980er und 1990er Jahren zu den größten Fußballhelden Brasiliens, 1983 macht er Gremio Porto Alegre gegen den HSV beinahe auf eigene Faust zum Weltpokalsieger – sein Durchbruch. Und der Durchbruch Kaisers. Aufgrund einer gewissen optischen Ähnlichkeit gibt sich Kaiser im Nachtleben von Rio als Renato aus, was öfter funktioniert als nicht. So gelingt es dem Hochstapler erstmals, sich einen gewissen Ruf und ein wertvolles Netzwerk aufzubauen. Unter anderem mit Renato, der irgendwann Wind von der Sache bekommt und sich mit Menschenfänger Kaiser anfreundet.


Er hatte nur ein Problem: den Ball.

Ricardo Rocha über Carlos Kaiser


Eine große Nummer im Untergrund, der Kumpel der Stars – dieses Konzept soll Kaiser ans Ziel führen. Und Ziel ist, ein berühmtes Fußballidol zu sein. Dabei kann Carlos gar nicht Fußballspielen. „Er hatte so viele Talente“, erinnert sich in der Dokumentation der brasilianische Weltmeister Ricardo Rocha. „Er hatte nur ein Problem: den Ball.“ Die Lösung dieses Problems? Kaiser spielte einfach nie. Nicht mal im Training.


Wenn eine körperliche Einheit anstand, tauchte er auf und trainierte eindrucksvoll mit. Sobald aber der Ball ins Spiel kam, war er immer dort, wo das Spielgerät nicht war. Oder er simulierte eine Verletzung, das war sein Evergreen. Eine Zerrung beim ersten Sprint. Kaiser spezial. Ansonsten auch gerne jede andere Ausrede bis hin zur gestorbenen Großmutter, von denen er eindeutig mehr als zwei zu haben schien.

Selbst Bebeto hilft beim Schwindel mit


Wie er damit durchkam? Carlos hatte Verbündete. Das war Teil des Plans. Mitspieler, Vereinsfunktionäre und Journalisten brachte er auf die besten Parties der Stadt, verschaffte ihnen Frauen oder auf andere Weise die Zeit ihres Lebens. Bis selbst Stars wie Bebeto vor Vereinswechseln ein gutes Wort für Kaiser einlegten, die Funktionäre seinen Vertrag verlängerten und befreundete Reporter Fabeldinge über ihn schrieben, die er niemals vollbracht hat.

Renato Gaucho, Carlos Kaiser


Freunde fürs Leben: Fußballstar Renato Gaucho (li.) und Schwindler Carlos Kaiser.
Der größte Fußballer, der nie Fußball gespielt hat


Mitte der 80er verschaffte Fabio Barros, genannt Fabinho, Kaiser bei einem Auslandsintermezzo in Ajaccio auf Korsika ein Trikot des Vereins und Einblicke in das Leben vor Ort. Beides machte sich Kaiser zunutze, um selbst in bekannten TV-Shows vorzuflunkern, dass er selbst dort gespielt habe, um das Interesse an dem Spieler, der er gar nicht war, hochzuhalten. Von Ajaccio fälschte er sich auch einen ausländischen Spielerpass, sein wichtigstes Utensil – neben einer Handy-Attrappe, mit der er Telefonate mit interessierten europäischen Vereinen vorgaukelte. Wenig glaubwürdig.

Drei oder vier Klubs pro Jahr


„Er stand drei Monate hier unter Vertrag, vier Monate dort, er war bei drei oder vier Klubs pro Jahr“, erzählt Paulo Angioni, ehemaliger Direktor von Vasco da Gama. Lange geht die Scharade fast nirgends gut, doch Chancen gibt es immer wieder. Dann begann der gleiche Spuk eben von neuem und Kaiser bezahlte Fans, die seinen Namen skandierten – oder Jugendspieler, die ihn im Training verletzen sollten. In einer Zeit mit relativ überschaubarem Informationsfluss haute das hin.


Am wohlsten fühlt sich Kaiser bei Bangu, wo er selbst Vereinspatron Castor de Andrade einlullt, einen der gefährlichsten Kriminellen Brasiliens. Der hat an Kaiser irgendwann so einen Narren gefressen, dass er einmal dessen Einwechslung anordnet. Kaiser bekommt es mit der Angst zu tun, hat aber einen Plan. Kurz vor der Einwechslung springt er über einen Zaun, prügelt sich mit ein paar Fans und sieht die Rote Karte. Seine Mitspieler befürchten, dass de Andrade Kaiser nun erschießen wird, der aber erfindet die Ausrede, dass die Fans den Patron als Verbrecher beleidigt hatten, was Kaiser nicht einfach so hinnehmen konnte. Er musste seine „Vaterfigur“ doch verteidigen, die ihm daraufhin nicht nur verzieh, sondern sogar einen neuen Vertrag gab.


Ich war eine Legende. Nicht für die Fans, aber für die Spieler.



Verfehlungen anderer Spieler nahm der „König der Party“ gerne mal auf sich, wenn es etwa Renato mit der Treue wieder nicht so eng genommen hatte. „Ich war eine Legende. Nicht für die Fans, aber für die Spieler“, sagt Kaiser, der sich selbst als „PR-Manager“ seiner Mannschaften und offen als „Anti-Fußballer“ bezeichnet. Mit seinem Schwindel und sich ist er jedoch im Reinen: „Es gibt so viele Spieler, die von den Vereinen ausgenutzt werden. Ich habe den Spieß eben umgedreht.“

Freund Renato bleibt ihm treu


Der Kaiser der Gegenwart, die Dokumentation erschien 2018, hat seine glorreichsten Tage hinter sich. In einem kargen Zimmer, womöglich in seiner aktuellen Wohnung, zeigt er sich verletzlich, seine Sonnenbrille nimmt er im Verlauf des Gesprächs ab. Er erzählt von einer traurigen Kindheit, vom Tod seiner Adoptivmutter, zweier Ehefrauen und eines Sohnes. Davon, dass er erblindet, und dass sein Freund Renato – der war also echt – ihm eine Augenoperation bezahlt hat. Tränen fließen.


„Er verkaufte die Geschichte, ein Fußballer zu sein“, sagt Renato über Carlos, der zu dieser Zeit als Bodybuilding-Trainer seiner nächsten Ehefrau arbeitet, und hätte dabei gar nicht die Vergangenheitsform wählen müssen. Es ist eine Geschichte, die mit Vorsicht zu genießen ist. „Bei Kaiser weißt du nie, wann er die Wahrheit sagt“, meint der ehemalige Botafogo-Spieler Mauricio. „Das ist alles in seinem Kopf verankert, er glaubt das wirklich“, sagt Fabinho, der inzwischen verrät, dass Kaiser niemals auch nur einen Fuß nach Korsika gesetzt hat.


Der brasilianische Fußballverband aber bestätigt, dass Kaiser tatsächlich ein registrierter Spieler war. „Der beste Spieler, der niemals spielte“, scherzt Renato, doch auch das ist nicht ganz richtig. Rund 30 (Kurz-)Einsätze sollen für Kaiser, angeblich Mittelstürmer, im Laufe seiner erschwindelten Karriere dann doch zusammengekommen sein. Aber kein einziges Tor.

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