Wer will die heiße Kartoffel? Wie Real ohne Kroos strauchelt – Fussball



Der deutsche Chefstratege fehlt Real Madrid. Das macht sich zwar nicht in Zahlen bemerkbar, aber es mangelt an Dominanz im Spiel. Und nun stehen die Duelle mit Dortmund und Barcelona an.


„Pensionär“ Toni Kroos verweilt mit privaten Projekten, seine ehemaligen Kollegen tun sich ohne ihn schwer.

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Zum Gesamtkunstwerk Carlo Ancelotti gehört seit jeher auch die Mimik. Würde nicht hin und wieder die Augenbraue zucken, der 65 Jahre alte Italiener hätte womöglich das perfekte Pokerface.


Ausgerechnet vor Real Madrids zweitem Spiel in der Champions League ließ der Trainer der Königlichen die Maske aber fallen, die er trotz zahlreicher Nachfragen in den zurückliegenden Wochen tapfer aufrechterhalten hatte. „Die Wahrheit ist, dass wir uns schwertun, ohne ihn zurechtzukommen“, gestand Ancelotti in Bezug auf den zurückgetretenen Toni Kroos – und die spielerisch bislang dürftigen Auftritte. Einen solchen bot Real dann auch in Lille – 0:1.

Vier Künstler, die zu ähnlich denken


Dass der spanische Meister und CL-Sieger eher mäßig in eine Saison gestartet ist, vor der man ihn besonders wegen des Wechsels von Kylian Mbappé noch stärker erwartet hatte als im Vorjahr, liegt zwar nicht nur an der Personalie Kroos. Die Abstimmung in vorderster Front holpert, weil Mbappé, Vinicius Junior, Rodrygo und teilweise auch Jude Bellingham oft zu ähnlich denken, sich vor allem auch in die gleichen Räume bewegen. Diese Ähnlichkeit macht Madrid nur bedingt flexibel – und dadurch auch ausrechenbar.


Während sich derartige Einzelkönner in Reals traditionell auf Individualität ausgerichteter Spielweise allerdings schon häufig gefunden haben, sobald eine Saison zeitlich voranschreitet, bereiten bei den Blancos, die in der Tabelle hinter dem FC Barcelona liegen, längst nicht nur die Ergebnisse Sorgen. Es geht – wie so oft – um die Art und Weise. Und an dieser Stelle fällt Stand Oktober die Tatsache, dass Mbappé jetzt da ist, weniger ins Gewicht als die, dass Kroos es nicht mehr ist.



Da stehen sie – mal wieder gar nicht weit voneinander entfernt: Vinicius Junior, Jude Bellingham und Kylian Mbappé (v. li.).
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Ein Blick auf ein paar Zahlen könnte zwar suggerieren, dass das gar nicht stimmt. In seinen bislang 13 Pflichtspielen hatte Real Madrid nur viermal mehr als 60 Prozent Ballbesitz, das war in der Vorsaison – noch mit Kroos – aber auch nur bei 19 von 55 Auftritten der Fall gewesen. Eine sehr ähnliche Quote. Außerdem war der Deutsche 2023/24 mit 290 „Pässen mit Raumgewinn“ in der Liga mannschaftsintern weit vorne – Aurelien Tchouameni (2024/25 bisher mit 77) und Federico Valverde (72) sind hier aber aktuell auf Kurs.


Es geht in erster Linie – dieses B-Wort ist in Madrid nicht zum ersten Mal Schlüsselwort – um die Balance. Um das, was man sehen kann, was einige Zahlen dann manchmal übertrumpft. Zwar kann Real in Bestbesetzung das Drei-Mann-Mittelfeld Tchouameni, Valverde und Bellingham aufstellen, dessen jeweilige Stärken sich so gut ergänzen, dass es den Königlichen in diesem Mannschaftsteil an fast nichts fehlt. Aber eben nur an fast nichts.



Auch wenn dieses Bild anderes suggeriert: Toni Kroos war jahrelang der lenkende Kopf von Real.
IMAGO/Guillermo Martinez


Körperlichkeit, Laufstärke und Zug zum Tor mögen seine Erben Kroos voraushaben. Dessen Organisationstalent, vor allem das Gefühl für die Dynamik eines Spiels und auch die Vielseitigkeit seines Passspiels kriegt dieses Starensemble auch durch Alternativen wie Eduardo Camavinga, Dani Ceballos und selbst den inzwischen 39 Jahre alten Luka Modric kaum ersetzt.


Der aus Fußballer-Sicht betagte Kroate wäre, auch wenn er ein Spiel anders gestaltet als Kroos es tat, noch die beste Vertretung. Am Samstag beim zähen 2:1-Sieg in Vigo stellte er einen neuen Altersrekord für Real auf und gab auch noch den Assist zum Siegtor. Er eignet sich allerdings nicht mehr zum Dauerspieler, den der fünf Jahre jüngere Kroos bis zuletzt noch geben musste. Und konnte.



Eine Mannschaft lässt Mannschaftsspieler Toni Kroos hochleben, hier nach dem Gewinn der Champions League 2024.
IMAGO/Goal-Sportbilder

Real erzeugt kaum mal Dominanz


Obwohl sich an den Ballbesitzwerten der Ancelotti-Mannschaft zahlenmäßig wenig getan hat, ist die Art des Ballbesitzes, den Real aktuell hat, durchaus eine andere. Die Kugel läuft weitaus planloser hin und her. Teilweise wird sie wie eine heiße Kartoffel hastig zum nächsten Mann gegeben, der sich den dringend benötigten mutigen Vertikalpass dann aber auch nicht traut. Oder er bringt ihn nicht an. In anderen Fällen erfolgt die Suche nach Lücken in einer Geschwindigkeit, bei der sie sich gar nicht erst auftun. Oder locker wieder schließen lassen.


Vorne geht Real die Struktur ab – und mit ihr die Schärfe. Es entsteht kaum mal eine kontrollierte Druckphase durch saubere Ballzirkulation, weil die Madrilenen nicht geölt und sicher genug spielen, um sich mal minutenlang am gegnerischen Strafraum festzusetzen. Ihre Ballbesitzphasen sind meist wild, mitunter unkoordiniert, münden zu häufig in gefährliche und schlecht abgesicherte Ballverluste. Auch gegen den Ball fehlt der Dirigent Kroos, der in seinen letzten beiden Spielzeiten defensiv sogar öfter und effektiver selbst eingriff.


Diese Abläufe, die man auch als Teufelskreis bezeichnen könnte, kosten den Meisterschaftsfavoriten aktuell einiges an Aufwand. Erst wird verkrampft kaum Dominanz erzeugt, dann zu viel unsortiert hinterhergehechelt. Das bedeutet auch weniger Verschnaufpausen. Und es wird nicht einfacher, wenn es dann wieder von vorne losgeht. Und nun stehen die Duelle mit Dortmund (Dienstag) und Barca (Samstag) an, die Neu-Auflage des Champions-League-Finales und der Clasico.

Wenn eine Sekunde Welten verändert


Immerhin sind beides Heimspiele, doch Real Madrid braucht in dieser Zusammensetzung des Teams wieder einen, der die Verlagerung eine Sekunde früher spielt. Weil er sie eben eine Sekunde früher erkennt. Der all den ähnlich denkenden Offensiv-Waffen auch mal Signale gibt, wer sich wo aufhalten soll, wer wann in welchen Raum zu starten hat. So wie Kroos das tat, 2020 im Clasico einst denkwürdig per Fingerzeig an den damaligen Rohdiamanten Vinicius. Keine Ausnahme.


Wie schier unmöglich die neuen „Galaktischen“ zu verteidigen sind, wenn nur dieser eine geniale Pass kommt, weil die Angriffszauberer dann auf und davon stürmen, hat beim Führungstor in Reals erstem Champions-League-Spiel der VfB Stuttgart erfahren oder nun beim Erfolg in Vigo, als Modric genial Vinicius Junior einsetzte. Solche Situationen muss Madrid öfter kreieren, auch ohne Kroos. Mit dem „Spielermaterial“, das zur Verfügung steht.



Ein Dirigent alter Schule und ein möglicher Kroos-Nachfolger: Luka Modric (re.) und Valverde.
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Bellingham hat viele Ansätze, spielt aber in der Regel eine Linie weiter vorne und denkt für einen Kroos-Nachfolger wohl zu vertikal. Tchouameni, der den Traumpass gegen Stuttgart spielte, hat das Spiel vor der eigenen Abwehr vor sich, aber besonders durch Probleme mit der Konstanz (noch) nicht die benötigten strategischen Fähigkeiten.

Bleibt nur noch das Thema mit der Nummer 8


Aktuell bleibt eigentlich nur der Mann, der Kroos als sein großes Vorbild bezeichnet und der zumindest in Bezug auf die Trikotnummer schon dessen Nachfolger geworden ist: Valverde, ungleich dynamischer als sein Idol, enorm schussstark und auch schon weitaus offensiver eingesetzt, entwickelt sich momentan zu einem tiefer spielenden Strategen. Einige Anlagen dafür bringt der Uruguayer mit, doch der Weg ist noch weit.


„Ich hatte Sorge, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein“, verriet Valverde zuletzt – und bezog sich dabei auf die Aufgabe, die Rückennummer (8) des Toni Kroos zu übernehmen. Vielleicht hat er damit aber auch dessen Rolle gemeint.

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