Basketball-WM | Wie Voigtmann die X-Faktor-Serie im Finale krönte – NBA – Basketball



Vor allem dank eines exzellenten Kollektivs wurde Deutschland sensationell Basketball-Weltmeister. Neben den NBA-Stars Dennis Schröder und Franz Wagner setzten in jeder Partie andere Akteure besondere Akzente. Im Finale gegen Serbien: Big Man Johannes Voigtmann

Johannes Voigtmann hatte ganz entscheidenden Anteil am WM-Titel der Deutschen.


Johannes Voigtmann hatte ganz entscheidenden Anteil am WM-Titel der Deutschen.

IMAGO/Xinhua


Als „surreal“ empfand Johannes Voigtmann den deutschen WM-Triumph im Interview mit „MagentaSport“ kurz nach der Siegerehrung. „Deutschland steht jetzt für immer auf dem Pokal drauf – das ist Wahnsinn und nicht in Worte zu fassen“, sagte der 2,11-Meter-Mann am späten Sonntagabend in Manila und fügte mit Blick auf die nächtlichen Partypläne und seinen beim Feiern als etwas verrückt geltenden Teamkollegen schmunzelnd hinzu: „Wir lassen heute den Andi Obst frei.“


Zuvor hatte sich bereits Voigtmann die Freiheit genommen, seine beste Turnierleistung aufzuführen. Ausgerechnet im ersten WM-Finale mit deutscher Beteiligung. Einen hohen Stellenwert im Nationalteam besitzt der 30-Jährige schon seit Jahren. Als auch neben dem Feld verbindender Vize-Kapitän und gesetztes Mitglied der Starting Five. Die bildet er seit dem Bronze-Gewinn bei der Heim-EM im vergangenen Jahr grundsätzlich mit dem hochverdient als MVP ausgezeichneten Schröder, Wagner, Scharfschütze Obst und Big-Man-Partner Daniel Theis.

Voigtmann ist für Herberts Stil wie geschaffen


Voigtmann ist mit Moritz Wagner der längste Akteur in der Weltmeistermannschaft und wird nominell als Center geführt. Auf dem Feld tritt er allerdings überhaupt nicht als klassischer Center auf, der fast nur in Brettnähe und mit dem Rücken zum Korb agiert. Während sich dieser Typus im modernen Basketball generell dem Artenschutz-Status nähert, ist er im System von Bundestrainer Gordon Herbert überhaupt nicht vorgesehen. Meist stehen zu Beginn der variablen Offensive vier, oder gar alle fünf Spieler außerhalb der Dreierlinie. Das schafft Platz für Drives, Cuts, Pässe oder Dribbel-Einstiege, aus denen beeindruckend regelmäßig gute Abschlüsse in Korbnähe oder offene Distanzwürfe entstehen.

Fähigkeiten wie ein Aufbauspieler


Voigtmann ist für einen solchen Stil wie geschaffen. Trotz seiner Größe zeichnen ihn vor allem Spielverständnis und Übersicht, Raumgefühl und Passqualität und -sicherheit sowie Variabilität und ein guter Wurf aus. Ein Gesamtpaket, bei dem sogar mancher Aufbauspieler vor Neid erblasst. Beispiel aus dem Finale gefällig?


Obst befreit sich Ende des dritten Viertels nach einem Schröder-Dribbling durch die Zone mit einem Skip-Pass aus der Ecke zu Voigtmann. Der setzt am Flügel zum weiten Dreier an, hätte für den Wurf auch genügend Zeit, täuscht ihn aber nur an, um im letzten Moment den durch die Rotation unterm Korb frei gewordenen Moritz Wagner zu bedienen. Der macht zwei leichte Punkte, Deutschland führt erstmals mit elf Zählern Vorsprung.

Bester Effizienzwert im Finale, mit einem Serben


Durch die genannten Stärken, mit denen er oft andere glänzen lässt, plus seiner Präsenz beim Rebound ist Voigtmann fast immer ein wichtiger Faktor für dieses herausragende Team. Aber nicht immer lässt sich das an plakativen Statistiken ablesen. Im historischen Endspiel hingegen schon. Mit zwölf Punkten, darunter ein sehr wichtiger Dreier aus der Ecke im vierten Viertel, acht Rebounds, drei Assists, je einem Steal und einem Block kam die deutsche Nummer 7 auf einen Effizienzwert von 22. Topwert im gesamten Spiel, zusammen mit Serbiens Bogdan Bogdanovic. Auch, weil Voigtmann in 28 Minuten Einsatzzeit in seinen Ballbesitzphasen entschlossener als zuletzt eigene Abschlüsse suchte und dabei nur einen seiner sieben Wurfversuche verfehlte.


Ich wusste also auch, was er nicht mag.


Johannes Voigtmann über Nikola Milutinov


Zusätzlich agierte der frühere Schüler des Sportgymnasiums Jena stark in der Verteidigungsarbeit, die grundsätzlich nicht zu seinen großen Stärken zählt. Während er nach undankbaren Switches außen in Duellen mit Bogdanovic auch das Nachsehen hatte, gelang es ihm, die Wirkungskreise von Nikola Milutinov signifikant einzuschränken. Serbiens 2,13-Meter-Center kam nur auf zwei Zähler, vier Rebounds und einen Effizienzwert von 6. „Niko ist ein unglaublicher Spieler. Wir waren etwas besorgt, wie wir ihn mit nur vier Big Men stoppen können. Es hat dann ganz gut geklappt. Ich habe mit ihm in Moskau zusammengespielt, wusste also auch, was er nicht mag“, sagte Voigtmann nach dem Finale: „Er hat trotzdem, wie sein gesamtes Team, ein großartiges Turnier gespielt. Das wird er in den nächsten Tagen realisieren.“

Immer wieder neue X-Faktoren


Das gilt umso mehr für die deutsche Mannschaft und Voigtmann, dessen Finalauftritt sich als fast schon logische Folge einreiht. In jeder Partie schwang sich neben Schröder und dem wegen einer Verletzung nur viermal eingesetzten Franz Wagner – die einzigen, die gegen Serbien mit 28 respektive 19 Zählern mehr punkteten als Voigtmann – mindestens ein anderer DBB-Akteur zum X-Faktor auf.


Im Eröffnungsspiel gegen Japan war es Moritz Wagner mit 25 Punkten und 9 Rebounds, beim Thriller-Sieg gegen Australien Maodo Lo mit 20 Punkten und entscheidenden Dreiern und gegen Finnland die beiden Energizer Isaac Bonga (15 Punkte) und Johannes Thiemann (13). Beim 100:73-Sieg über Georgien ragte wieder Lo mit perfekter Dreierquote (6/6) und damit 18 Zählern aus einem Kreis von sechs zweistellig punktenden Spielern heraus und gegen Slowenien setzten neben Schröder besonders dessen kongenialer Partner und Kumpel Theis (14 Punkte, 7 Rebounds) und Bonga (12 und 5) wichtige Akzente. Im Viertelfinale gegen Lettland kompensierten neben dem wiedergenesenen Franz Wagner vor allem Moritz Wagner (12 und 4) und Thiemann (10 und 7) Schröders schwache Leistung


Und nach der großen, viral gegangenen Halbfinal-Gala von Obst (24 Punkte, sechs Assists) sowie dem Monster-Auftritt auf beiden Seiten des Feldes von Theis (21 Punkte, sieben Rebounds) beim historischen Halbfinal-Spektakel gegen die USA krönte im Finale Voigtmann die X-Faktor-Serie im DBB-Ensemble.


Der WM-Gewinn ist selbstredend auch die persönliche Krönung des Mannes aus Thüringen, der recht spät vom Handball zum Basketball kam und seit 2016 mit Vitoria, Moskau (kurz nach Kriegsbeginn verließ er die russische Hauptstadt mit vollgepacktem Auto auf eigene Faust) und Mailand auf hohem Niveau in der Euroleague spielt.

Voigtmann und Herbert können am Dienstag an alter Wirkungsstätte feiern


Kurz vor dem Partystart in Manila lobte Voigtmann noch den X-Faktor, der die Basis für all die X-Faktor-Leistungen in diesem beeindruckenden Kollektiv legte: Bundestrainer Herbert: „Er ist ein exzellenter Coach, eine großartiger Person, ein fairer Typ, der mit jedem straight umgeht. Er stellt nicht jeden im Team zufrieden, aber er ist verdammt nah dran. Sein Einfluss ist riesig. Das kann ich gar nicht genug betonen.“


Voigtmann muss es wissen. Als er zwischen 2012 und 2016 in Frankfurt den Durchbruch als Profi schaffte, formte ihn Herbert drei Jahre lang als Trainer. Von Voigtmanns finalem Auftritt dürfte der Kanadier alles andere als überrascht gewesen sein. Am Dienstagmorgen dürfen sich beide mit dem Team für ihren Karriere-Höhepunkt an ihrer alten Wirkungsstätte feiern lassen. Für 9.30 Uhr ist, pünktliche Landung am Frankfurter Flughafen vorausgesetzt, ein Fan-Empfang in der ING-Zentrale geplant – auf die Verfassung von Obst darf man besonders gespannt sein.

© – by kicker.de

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