Breuer: „Hertha ist dabei abzustürzen“ – Fussball



Hertha BSC kämpft um die Lizenz – mit der geplanten Verlängerung der 40-Millionen-Euro-Anleihe bis 2025 als zentralem Baustein. Im kicker-Interview spricht Professor Dr. Christoph Breuer vom Institut für Sportökonomie und Sportmanagement an der Deutschen Sporthochschule Köln über Herthas Strategie, die existenziellen Nöte des Klubs und die Rolle von US-Investor 777 Partners.

Hertha BSC ist laut Sportökonom Christoph Breuer "dabei abzustürzen".


Hertha BSC ist laut Sportökonom Christoph Breuer „dabei abzustürzen“.

IMAGO/Christian Ender


Hertha BSC kämpft mit Hochdruck um die Lizenz und nennt als zentralen Baustein dafür die geplante Verlängerung der 40-Millionen-Euro-Unternehmensanleihe. Seit Montag ist bekannt, dass der Klub die Rückzahlung um zwei Jahre auf November 2025 verschieben will – bei einem Zinsanstieg von 6,5 auf 8,5 Prozent. Hilferuf, letzte Patrone oder ein durchdachter Move, um die Millionen von Investor 777 Partners an anderer Stelle zu verwenden – wie wirkt dieser Plan auf Sie, Herr Breuer?


Es ist lediglich ein Teil der letzten Patrone für die Lizenz in der kommenden Saison, wenn auch ein notwendiger. Hertha BSC muss gemäß Halbjahresbilanz dieses Jahr 88,5 Millionen Euro seiner Gesamtschulden in Höhe von gut 90 Millionen Euro zurückzahlen, besitzt jedoch nur ein Barvermögen in Höhe von 1,3 Millionen Euro sowie Forderungen in Höhe von 26,4 Millionen Euro, um diese kurzfristigen Schulden zu bedienen. Somit besteht aktuell eine Zahlungslücke von gut 60 Millionen Euro. Hinzu kommen eventuelle Verluste aus der gesamten Spielzeit 22/23. Auch aus Spielerverkäufen lassen sich somit nicht hinreichende Erlöse generieren. Somit ist es neben einer Kapitalspritze von 777 Partners zentral, die kurzfristigen Verbindlichkeiten zu strecken, um die Hertha am Leben zu erhalten. Dabei hat die Anleihe in Höhe von 40 Millionen Euro eine zentrale Bedeutung. Von finanzieller Genesung ist dabei aber noch keine Rede. Im Gegenteil, die Kapitalkosten für die Anleihe steigen ja an. Und es ist ja auch noch nicht sicher, ob dieser Move klappt. Aber es ist aus meiner Sicht ein alternativloser Move. Zeitgleich muss aber auch mit anderen Gläubigern über die Streckung von Krediten verhandelt werden.

„Die Anleger wissen auch, dass auch in zwei Jahren die Rückzahlung unsicher ist“


Im Disclaimer, dem am Montag an die Anleihegläubiger verschickten Nordic-Bond-Investoren-Update, nennt der Klub als mögliche Szenarien den Totalverlust für die Anleger und einen Lizenzentzug, falls die Verlängerung der Anleihe nicht zustandekommt. Damit wird Druck auf die Anleihegläubiger aufgebaut. Welche Erfolgsaussichten hat dieses Vorgehen aus Ihrer Sicht?


Die deutlichen Hinweise dürften auch den besonderen Informationspflichten des Finanzmarkts geschuldet sein. Die institutionellen Anleger dürften sich des Risikos des Totalausfalls auch ohne diesen Hinweis bewusst sein. Gleichwohl wissen sie auch, dass – Stand heute – auch in zwei Jahren die Rückzahlung unsicher ist. Somit geht es meines Erachtens mit dem Hinweis weniger darum, die Zustimmungswahrscheinlichkeit zur Verlängerung zu erhöhen.


„Auch 777 steht vor dem Risiko eines Verlusts eines Großteils seiner Investition.“


Prof. Dr. Christoph Breuer


Um die Verlängerung umsetzen zu können, braucht es die Zustimmung der Anleger in einer Höhe von mindestens zwei Dritteln des Nennbetrags. Ist es realistisch, die nötige Zustimmung zu bekommen?


Ja, aus der Forschung zum Finanzverhalten wissen wir, dass es bei Anlegern eine sogenannte Verlust-Aversion gibt. Man will Verluste und insbesondere Totalverluste möglichst vermeiden. Ein Selbstläufer wird dies aber dennoch nicht werden.


Plan A für die Rückzahlung der Anleihe war in den vergangenen Wochen eine Bankbürgschaft durch den neuen US-Investor 777 Partners. Die gibt es bisher nicht. Was sagt das aus über die Strategie von 777 und das Kräfteverhältnis in der Allianz mit Hertha BSC?


Es ist klar, dass in der aktuellen Situation Geldgeber die Oberhand haben und eher die Bedingungen diktieren. Allerdings steht auch 777 vor dem Risiko eines Verlusts eines Großteils seiner Investition. Man sitzt damit schon ein Stück weit im selben Boot. Für 777 geht es darum, seine Risiken abzusichern. Und die würden sich mit einer Bankbürgschaft erhöhen, zumal die bei einer Anleihenrückzahlung mit einer gewissen Sicherheit aktiv werden dürfte. Eine Verlängerung der Anleihe ist da aus meiner Sicht deutlich zielführender.


777 Partners hat dem Vernehmen nach etwa 120 Millionen Euro an den früheren Investor Lars Windhorst für den Kauf von dessen Hertha-KG-Anteilen bezahlt und dem Klub beim Vertragsabschluss im März die erste Tranche in Höhe von etwa 25 Millionen Euro überwiesen. Müsste 777 schon aus eigenem Interesse alles tun, was möglich ist, um Hertha die Lizenz zu sichern?


Normalerweise verleiten sogenannte „Sunk costs“, also Investitionen, die bereits getätigt wurden, dazu, weiteres Geld hinterherzuschießen. Tatsächlich muss dies aus Sicht des Investors aber nicht unbedingt sinnvoll sein. 777 sollte zumindest relativ sicher sein, dass weitere Investitionen tatsächlich zum finanziellen Turnaround bei Hertha beitragen können. Im Zweifelsfall könnte es für 777 sinnvoller sein, die bisherigen Investitionen als Fehlinvestitionen hinzunehmen und nicht noch mehr Geld in ein Fass zu werfen, wenn sich dort kein Boden abzeichnen sollte.


Aktuell hält sich 777 Partners in der Öffentlichkeit komplett zurück. Ist das ein gutes Zeichen?


Ich denke, dass dies zumindest kein schlechtes Zeichen sein muss. Die Lage ist komplex, und es dürfte intensiv verhandelt werden.

„Hertha hat sehr lange Zeit auf den Klassenerhalt gewettet“


Hertha schreibt im Investoren-Update, die Anleihe sei „aufgrund der länger andauernden Verhandlungen mit dem neuen Mehrheitsinvestor 777 Partners nicht früher refinanziert“ worden. Hat der Klub das 40-Millionen-Problem zu lange vor sich hergeschoben?


Der Liquiditätsengpass in 2023 war absehbar, wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit. Das Rückzahlungsdatum ist lange Zeit bekannt, doch hatte man sicher nicht mit andauernden so starken Verlusten in den letzten Spielzeiten gerechnet, die viel Eigenkapital und Liquidität gekostet haben.


„Ob Hertha den rettenden Ast erreicht und ob und wie lange er trägt, ist unklar.“


Prof. Dr. Christoph Breuer


Schalke hat seine 2023er Anleihe im Oktober 2022 per Ziehen der Call-Option vorzeitig abgelöst. Hat sich Hertha zu lange auf den Investor verlassen?


Die Situation ist nicht ganz vergleichbar, da Schalke gerade in die Erste Liga wieder aufgestiegen war und eine bessere Refinanzierungsperspektive hatte als Hertha nun mit dem Abstieg. Die Ligazugehörigkeit spielt schon eine zentrale Rolle für die Refinanzierungsmöglichkeiten eines Vereins. Ich würde somit eher sagen, Hertha hat sich sehr lange Zeit auf seinen sportlichen Erfolg verlassen, zumindest auf den Klassenerhalt beziehungsweise auf diesen gewettet. Aber dieses Problem ist weit verbreitet in der Fußballindustrie und wird durch den Wettbewerb in der Liga geradezu gefördert. Dazu kann dann natürlich kommen, dass man häufig darauf hofft, dass Investoren oder Mäzene nochmals eine Finanzspritze geben. Man kennt das ja auch von Schalke 04 oder dem HSV. Zudem kennen wir auch den sogenannten Soft-Budget-Constraint. Der Staat hilft aus, wenn alles andere nicht mehr hilft. Aufgrund der Popularität des Fußballs springen eben notfalls auch Kommunen oder das Land in die Bresche und geben zum Beispiel Bankbürgschaften. Dummerweise wäre gerade jetzt Berlin aber auch ohne Hertha im Fußballzirkus prominent vertreten…


Mit Blick auf Herthas Bilanzzahlen, den seit Samstag feststehenden sportlichen Abstieg und die offene Lizenzfrage: Wie nah steht der Klub am Abgrund?


Die Hertha steht am Abgrund, ist dabei abzustürzen, versucht aber den rettenden Ast zu erreichen, durch den sie den Totalabsturz vermeiden möchte. Ob sie diesen Ast erreicht und ob und wie lange dieser Ast trägt, ist Stand heute unklar.

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