Trotz steinigem Weg: Die Entwicklung von Chemnitz zum BBL-Topteam – NBA – Basketball



Der Tabellenführer der Basketball-Bundesliga lautet nach mehr als der Hälfte der Saison nicht Bayern oder Alba – sondern Niners Chemnitz. Der Standort hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich weiterentwickelt – und der Erfolg ist untrennbar mit einer Personalie verknüpft.

Begeistert mit seinen Teamkollegen regelmäßig fast 5000 Zuschauer in der Messe Chemnitz: Niners-Kapitän Jonas Richter.


Begeistert mit seinen Teamkollegen regelmäßig fast 5000 Zuschauer in der Messe Chemnitz: Niners-Kapitän Jonas Richter.

IMAGO/Alexander Trienitz


Seltene Beobachter der Bundesliga werden sich beim aktuellen Blick auf die BBL-Tabelle sicher verwundert die Augen reiben. So stehen nach etwas mehr als der Hälfte der Hauptrunde weder die üblichen Verdächtigen aus Berlin oder München noch der amtierende Meister Ulm an der Tabellenspitze, sondern die Niners Chemnitz. Und das bereits seit mehreren Wochen. Die Bayern-Basketballer haben zwar aktuell weniger Spiele absolviert und ebenfalls nur drei Niederlagen auf dem Konto, der Erfolg der Chemnitzer ist dennoch keine Momentaufnahme.


In der BBL gab es in den vergangenen Jahren schon des Öfteren Überraschungs-Tabellenführer, auch nach dem 34. Spieltag. So gewann Ulm in der Saison 2016/17 die ersten 27 Spiele, auch Ludwigsburg ging 2021 als Spitzenreiter in die Playoffs. Vergangene Saison dominierte Bonn die Hauptrunde. Zur Meisterschaft reichte es für keines der Teams. Ob die Chemnitzer das Zeug dazu haben, ihre Leistungen in einer möglichen Playoff-Serie gegen Teams wie Bayern oder Alba zu bestätigen, wird man im Mai oder Juni sehen. Dass darüber überhaupt diskutiert wird, kann in Chemnitz als Kompliment gesehen werden. So beeindruckt die Entwicklung des gesamten Standorts in den vergangenen Jahren.

Chemnitz verpasst Aufstieg zweimal haarscharf


Vor einem Jahrzehnt war die Realität im ehemaligen Karl-Marx-Stadt nämlich eine andere: Mal wurden die Playoffs erreicht, in anderen Jahren wiederum nicht. In der zweiten Bundesliga Pro A, wohlgemerkt. Im Schnitt kamen weniger als 2000 Zuschauer in die damalige Spielstätte namens Richard-Hartmann-Halle. Mit der Ankunft von Rodrigo Pastore im Sommer 2015 änderte sich jedoch einiges. Der Argentinier, als Spieler in der BBL für Bayreuth und Bonn aktiv, übernahm das Traineramt bei den Sachsen.


In seinem ersten Jahr wurde mit Platz sieben die Pro-A-Endrunde erreicht, im Viertelfinale war aber gegen den späteren Meister Jena Schluss. Im Jahr darauf hätte es für Pastores Chemnitzer dann beinahe schon zum Aufstieg gereicht: Doch die Niners gaben eine 2:0-Führung in der Halbfinal-Serie gegen Gotha noch aus der Hand und guckten in die Röhre. Nachdem mit dem Verpassen der Playoffs in der Saison 2017/18 ein Rückschritt erfolgte, dominierten die Chemnitzer in der darauffolgenden Spielzeit die Liga und standen nach dem Ende der Hauptrunde an der Tabellenspitze. Doch erneut reichte es nicht zum Aufstieg: Im fünften Halbfinalspiel in eigener Halle verlor man gegen die Hamburg Towers.

Stetige Entwicklung setzt sich in der BBL fort


In der Saison darauf sollte es dann endlich etwas werden mit dem Aufstieg in die BBL. Die Heimspiele fanden von nun an alle in der Messe Chemnitz statt, die Mannschaft von Taktikfuchs Pastore stand nach 27 Spielen bei 25 Siegen. Doch dann der Saisonabbruch aufgrund der Corona-Pandemie: Als souveräner Tabellenführer durfte man dennoch in die Bundesliga aufsteigen. Ein steiniger Weg, die stetige Entwicklung wurde aber belohnt.


In all den Jahren dabei: Eigengewächs Jonas Richter. Der gebürtige Chemnitzer ging Schritt für Schritt mit seinem Verein, vom Talent in einer durchschnittlichen Zweitligamannschaft zum Nationalspieler und Leistungsträger in einem BBL-Spitzenteam. Heute ist der mittlerweile 26-Jährige Kapitän: „Ich bin wahnsinnig stolz auf alles, was wir hier gemeinsam geschafft haben in den vergangenen Jahren“, sagte er kürzlich im MDR-Podcast Ostball.


Die Entwicklung des Standortes setzte sich dabei auch in der Beletage fort. Nachdem im ersten BBL-Jahr souverän die Klasse gehalten wurde, erreichten die Niners in der zweiten Bundesligasaison zum ersten Mal das Pokal-Halbfinale und die Runde der letzten Acht. Im Playoff-Viertelfinale war gegen die Bayern-Basketballer Endstation. Der Playoff-Einzug berechtigte zur Teilnahme am internationalen Geschäft, sodass die Sachsen in der vergangenen Spielzeit erstmalig im FIBA Europe Cup antraten. In den BBL-Playoffs war erneut im Viertelfinale Schluss, Champions-League-Sieger Bonn erwies sich als zu stark.


Wir sind Underdogs. Also haben wir auch einen anderen Antrieb, das Spiel zu spielen. Es kommt von Herzen.


DeAndre Lansdowne über die Arbeitseinstellung in der Mannschaft


Auf einem bestimmten Credo bauen Pastore und seine Schützlinge dabei auch in ihrer vierten BBL-Saison ihre tägliche Arbeit auf, wie er im MDR-Podcast betont: „Es gibt ein japanisches Konzept namens Kaizen. Das bedeutet viel für uns und unsere Arbeit. Für uns heißt das: Wir wollen uns jeden Tag verbessern.“ Verbessert haben sich die Chemnitzer auch in dieser Saison wieder, überzeugen defensiv wie offensiv auf ganzer Linie und gewannen zwischenzeitlich wettbewerbsübergreifend 17 Spiele am Stück – nach mehr als der Hälfte der Saison grüßen die Niners folgerichtig von der BBL-Tabellenspitze.


Leader der Mannschaft, die herausragenden Teambasketball spielt, ist DeAndre Lansdowne. Der Guard geht mit seiner Arbeitseinstellung voran. Vor der Saison kam er aus Straßburg, in der Vergangenheit spielte er bereits in der BBL für Braunschweig. Passend zum Standort hat auch er einen steinigen Weg hinter sich, arbeitete nach seiner Collegezeit teilweise als Maurer und kämpfte sich über die deutsche dritte Liga Pro B nach oben. Er sieht in seinem Karriereverlauf auch Parallelen zu dem von einigen seiner Teamkollegen. Und einen Grund für den Chemnitzer Erfolg: „Wir haben viele Jungs mit besonderen Geschichten im Team. Wir sind Underdogs. Also haben wir auch einen anderen Antrieb, das Spiel zu spielen. Es kommt von Herzen. Das ist das Fundament unserer Gruppe.“

Niners stehen „mit beiden Füßen“ auf dem Boden

DeAndre Lansdowne, Rodrigo Pastore


Der Coach und sein verlängerter Arm auf dem Spielfeld: Rodrigo Pastore (re.) mit DeAndre Lansdowne.
IMAGO/Sven Simon


Einer der Teamkollegen, der sich bei Lansdownes Worten angesprochen fühlen dürfte, ist Kevin Yebo. Er ist mit 17,6 Punkten pro Partie Top-Scorer der Mannschaft, steigerte seinen Punkteschnitt verglichen zur Vorsaison um fünf Punkte. Vor zwei Jahren hatte der 27-Jährige noch in der zweiten Liga gespielt, nachdem er bei seinem ersten BBL-Engagement in Hamburg gescheitert war. „Wir wissen, woher wir kommen“, charakterisiert der variable Big Man seine Mannschaft, die „mit beiden Füßen“ auf dem Boden stehe, trotz persönlicher Auszeichnungen: Im Januar wurde Yebo ligaweit zum Spieler des Monats gewählt.


Sein Vorgänger als Monats-MVP ist ein weiterer Chemnitzer: Wes van Beck war die Ehre im Dezember zuteil geworden. Auch er flog in seiner Karriere unter dem Radar: Erst mit 25 Jahren wurde er Profi und spielt nach seinem Wechsel aus Estland in Chemnitz seine dritte Profisaison. Mit 15,1 Punkten, 3,5 Rebounds und 4,1 Assists legt er starke Allroundwerte auf. Garniert werden die Zahlen mit einer beeindruckenden Dreierquote von 46,5 Prozent.

Deutliche Etatsteigerung ohne großen Geldgeber


Solche Spieler wecken Begehrlichkeiten, weiß auch Coach Pastore. Spieler auf ein höheres Niveau zu bringen und damit die Organisation als Ganzes sukzessive weiterzuentwickeln gehöre jedoch zur Chemnitzer DNA. Diese Perlen, die Qualität und Mentalität vereinen, überhaupt zu finden, sei ein großer Verdienst von Chefscout Julien Rahier, betonen Pastore wie auch Geschäftsführer Steffen Herhold unisono.


Herhold ist gebürtiger Chemnitzer und neben Pastore ein weiterer Architekt des Erfolges, der den Fortschritt der Niners seit dem Jahr 2016 mitgezeichnet hat. Ohne großen Geldgeber gelang es ihm, den Etat in wenigen Jahren von 800.000 auf nun etwa sechs Millionen Euro zu steigern. Ein organisches Wachstum. 210 Sponsoren unterstützen den Klub mittlerweile, der sich auch sozial und gesellschaftlich in der Stadt engagiert. „Wir sind wie ein Ameisenhaufen. Nur so haben wir eine Chance“, bezeichnete Herhold im ZDF die gewachsenen Strukturen.


Die Chance auf den ersten Titel der Vereinsgeschichte ist dabei in dieser Saison so hoch wie noch nie. Und zwar auch, sollte den Niners im Saisonendspurt in der BBL die Luft ausgehen oder die Euroleague-Mannschaften Alba und Bayern sich in den Playoffs als zu stark erweisen. Pastores Schützlinge dominieren nämlich auch im FIBA Europe Cup und gewannen elf ihrer zwölf Spiele auf internationalem Parkett, oft auch deutlich wie am Mittwoch gegen ZZ Leiden. Chemnitz gilt deswegen vor dem Viertelfinale als einer der Topfavoriten auf den Titel. In der Runde der letzten Acht geht es nun zunächst gegen Saragossa, den aktuell Elften der spanischen Liga. Bei einem möglichen internationalen Titelgewinn würden künftig sicher auch diejenigen, die die Basketball-Bundesliga nicht so genau verfolgen, wenig verwundert sein, sollte der Name Niners Chemnitz im BBL-Tableau regelmäßiger in der Spitzengruppe auftauchen.

© – by kicker.de

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