Weltmeister-Trainer Herbert im Porträt: Rational geschürte Emotionen – NBA – Basketball



Der Kanadier Gordon Herbert (64) führte die deutschen Basketballer zum ersten Weltmeister-Titel. Wer ist der Mann hinter diesem sensationellen Erfolg? Was ihn auszeichnet, was die Spieler sagen und welche Bedeutung Eislöcher in Finnland haben – ein Porträt.


Die Schlusssirene ist erst wenige Minuten verstummt. Gordon Herbert sitzt in den Katakomben der Arena von Manila auf dem Boden. Der Kopf ist an die Wand gelehnt, mit den Armen stützt er sich ab, die Augen sind geschlossen, an den deutlichen Atembewegungen des Brustkorbs und der Wangen kann man sehen, wie der 1,98 Meter lange Körper auf Hochtouren pumpt. Nach einigen Sekunden nimmt Herbert die Brille ab, fährt sich mit der Hand durchs Gesicht und verbirgt die Augen. Der Mann ist fix und fertig. Als Cheftrainer hat er gerade die Herren-Nationalmannschaft in einem nervenaufreibenden Finale gegen Serbien zum ersten Weltmeistertitel der deutschen Basketballgeschichte geführt.


„Was der Titel ihm bedeutet, hat man nach dem Spiel gesehen“, sagt Johannes Voigtmann über die von den TV-Kameras eingefangene Szene in den Katakomben: „Es ist wohl das angesagteste Meme auf Social Media.“ Herbert, besonders im Gespräch stets trocken, nüchtern und sachlich, oft kurz angebunden oder sich hinter Phrasen versteckend, brauchte in diesem Moment ein Ventil, um die große Anspannung und Belastung zumindest ein wenig entweichen zu lassen. Er hat seine kompletten Ressourcen für den Deutschen Basketball-Bund, der Herberts Vertrag bereits vor der WM bis zur EM 2025 verlängert hat, vor allem aber für seine zwölf WM-Spieler investiert. Im japanischen Urlaubsinselparadies Okinawa, wo die Vorrunde stattfand, sah der Kanadier trotz Meer und Strand vor der Tür kaum das Tageslicht, weil er fast rund um die Uhr arbeitete: Training, Videoanalyse, Vorbereitung, Gespräche mit Spielern und Trainerstab und alle zwei Tage ein Spiel.


Emotional war ich drei oder vier Minuten raus.



„Emotional war ich drei oder vier Minuten raus“, erklärt Herbert den Moment nach dem Finale, den er wohl am liebsten ganz für sich gehabt hätte und der ein wenig an Dirk Nowitzkis Flucht in die Kabine direkt nach dessen gewonnenem NBA-Meistertitel 2011 erinnert. „Letztes Jahr gegen Spanien haben wir es aus der Hand gegeben“, sagt Herbert mit Blick auf das nach Führung knapp verlorene Halbfinale bei der Heim-EM: „Ich war einfach so glücklich für die Spieler und den deutschen Basketball. Wir haben das Turnier mit 8:0 Siegen beendet und haben das Finale nicht aus der Hand gegeben.“


Basketball-Weltmeister mit Deutschland – ein noch immer etwas unwirklich klingendes Glanzstück, zumal Herberts Team sich keinesfalls mit viel Glück durch einen günstigen Spielplan gemogelt hat. Im Gegenteil: Das DBB-Ensemble bezwang im Halbfinale in einem mitreißenden 113:111-Spektakel die USA, die zwar nicht mit den allerbesten Spielern angetreten, angesichts von zwölf ambitionierten Akteuren aus der weltbesten Liga NBA dennoch der naturgemäße Topfavorit waren. Mit Australien, Slowenien und Serbien im Endspiel waren drei weitere Topnationen unter den Gegnern.


Gerade vor der Heim-EM hielten einige das von Herbert auch vor der WM wiederholte Ziel Medaille für vermessen. Doch der 64-Jährige hielt zweimal Wort. Aus Bronze 2022 wurde nun Gold und Herbert wird von seinen Spielern mit Lob nur so überschüttet. „Gordie macht einen unglaublichen Job, in der Kürze der Zeit das Team perfekt zusammen- und einzustellen. Die Kommunikation mit dem Team ist überragend, sein Coaching auch, ohne ihn wären wir nicht Weltmeister geworden“, sagt Johannes Thiemann stellvertretend. So oder so ähnlich äußern sich alle DBB-Korbjäger.

Herberts große Stärke: Eine klare Rollenverteilung


Thiemann ist ein perfektes Beispiel für die große Stärke des studierten Sportpsychologen Herbert, die Kapitän Dennis Schröder immer wieder hervorhebt: Mannschaftsführung mit klarer Rollenverteilung. Thiemann ist bei Alba Berlin Führungskraft mit viel Spielanteilen, opfert sich im Nationalteam aber mit Hingabe als stark verteidigender und energiebringender Ergänzungsspieler auf, der im Angriff selten gesucht wird und fast nur nach eigenem Rebound punktet.


„Er ist sehr rational. Als Spieler hast du genug Emotionen rumliegen, da muss nicht auch noch der Trainer Öl ins Feuer gießen. Er sagt uns genau, was er von uns verlangt. Wenn es schlecht läuft, hast du dadurch immer ein Sicherheitsnetz, in das du dich reinfallen lassen kannst“, sagt Voigtmann, der als Jungprofi drei Jahre unter Herbert bei den Frankfurt Skyliners spielte: „Er ist ein geradliniger Typ, super fair, auch wenn er es naturgemäß nicht jedem Spieler recht machen kann, und ein total lieber Mensch.“

Herbert macht Schröder zum Kapitän

Gordon Herbert (re.) mit seinem Kapitän Dennis Schröder.


Gordon Herbert (re.) mit seinem Kapitän Dennis Schröder.
Getty Images


Einer mit dem richtigen Instinkt, der mit seiner Rationalität die zielführenden Emotionen bei seinen Spielern schürt und lenkt. Direkt nach seinem Amtsantritt im Herbst 2021 setzte Herbert nach einem langen persönlichen Gespräch auf NBA-Star Schröder als unangefochtenen Anführer. Im Zuge dessen strich Herbert einige Monate später den langjährigen Kapitän Robin Benzing nachvollziehbar aus sportlichen Gründen aus dem EM-Kader und legte das große „C“ für Captain auf Schröders selbstbewusste Schultern. Der wurde bis dato zwar als bester Basketballer seit Nowitzki respektiert, galt aber auch als Egozocker und polarisierte mit seinem Verhalten auf und neben dem Feld.


Im WM-Viertelfinale gegen Lettland ließ Herbert Schröder am Ende trotz dessen nach eigener Einschätzung „schlechtesten Karriereleistung“ auf dem Feld, was um ein Haar zum Aus gegen den Underdog geführt hätte. Das Vertrauen trotz schlechter Entscheidungen und verfehlter Würfe gab Schröder aber wohl den Push, danach gegen die USA und Serbien wieder Galavorstellungen abzuliefern. Am Ende wurde er völlig verdient zum wertvollsten Spieler des Turniers (MVP) gewählt.

Zwist zwischen Theis, Schröder und Herbert


Zuvor im Turnier hatte es bereits einen öffentlichen Konflikt zwischen Hebert und Schröder gegeben, der viel Zündstoff barg. Schröder hatte sich zu Beginn und während einer Auszeit bei Rückstand im Slowenien-Spiel laut mit seinem Jugendfreund und eigentlich kongenialen Mitspieler Daniel Theis gestritten. Nach einigen Sekunden hatte Herbert genug davon, pfefferte sein Taktikboard auf den Boden, stieß einen Fluch aus und befahl Schröder, sich hinzusetzen, um endlich die Besprechung zu beginnen. Dabei drückte er Schröder auch mit der Hand am Rücken in Richtung Stuhl, der Kapitän blieb allerdings stehen und lieferte sich ein kurzes Wortgefecht mit dem Trainer, der nicht in diesem Ton mit ihm sprechen solle.


Herbert ließ Schröder und Theis danach zunächst länger als üblich auf der Bank, in der zweiten Hälfte drehten beide auf und waren maßgeblich dafür verantwortlich, den Rückstand gegen das Team von NBA-Superstar Luka Doncic noch in einen hohen Sieg zu drehen (100:71). „Coach, wir schätzen Sie so sehr. Der Charakter, der Sie sind, und diese Gruppe mit Ihnen hier in der Kabine zu haben, ist unglaublich“, sagte Schröder eine Woche später im Kabinenkreis nach dem WM-Triumph zu Herbert und fügte an: „Mich an der Bank zu schubsen und sich danach bei mir zu entschuldigen, hat mir viel bedeutet.“ Zuvor schon hatten sich Schröder und Herbert nach dem historischen Sieg auf dem Parkett intensiv geherzt und miteinander gelacht. Eine beim Trainer sehr selten zu beobachtende Mimik.

Perfekter Mix unter den Co-Trainern


Ein weiterer Trumpf von und für Herbert: Der perfekte Mix unter den Co-Trainern. Ex-Nationalspieler Klaus Perwas ist Herberts Vertrauter aus vielen gemeinsamen Jahren in Frankfurt, ein in Deutschland durchweg hoch geschätzter Fachmann, der Spieler besser macht und als personifizierte Euphoriebremse noch mehr als Herbert dafür sorgt, dass keiner abhebt. Der US-Amerikaner Bret Brielmaier arbeitet in Orlando auch im Klub mit den Wagner-Brüdern, bringt die NBA-Perspektive ein und ist der stets positiv verstärkende und antreibende Geist. Sebastian Gleim, Herbert ebenso aus Frankfurt bekannt, rundete den Stab vor der WM als akribischer Analytiker ab.

„Es könnte ein Einmal-im-Leben-Moment sein“


„Für ihn ist der Titel auch eine große Genugtuung“, sagt Voigtmann über Herbert, der zwar mit Frankfurt die Deutsche Meisterschaft (2004) und den drittklassigen FIBA Europe Cup (2016) gewann, in Frankreich Pokalsieger wurde (2007 mit Pau) sowie in Kanadas Nationalteam und bei NBA-Klub Toronto assistierte, als Chef bis 2022 aber nie auf internationalem Toplevel in Erscheinung getreten war.


Jetzt steht er plötzlich ganz oben. „Es könnte ein Einmal-im-Leben-Moment sein. Wichtig ist, dass alle ihn ergreifen und genießen“, sagte Herbert beim Weltmeister-Empfang vor begeisterten Fans am Dienstag in Frankfurt. Die Vorbereitung auf den letzten Teil seines Drei-Jahres-Plans, Olympia 2024 in Paris, habe noch Zeit. Diese Woche will er in Finnland, wo seine beiden Söhne geboren sind und er fast seine gesamte Spielerzeit in den 80er und 90er Jahren verbracht hat, ein wenig auftanken: „Sauna, Schwimmen gehen und ein Loch ins Eis hacken“. Zum Angeln. Kameras werden dann sicher nicht dabei sein.

© – by kicker.de

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