Das verhinderte Dream Team: Als Jordan keine Nikes tragen wollte – NBA – Basketball


Michael Jordan während der Olympischen Spiele in Barcelona über den Weg zu laufen, hatte etwas von einer flüchtigen U-Bahn-Bekanntschaft während der Rush Hour. Gesehen. Nicht wahrgenommen. Vergessen. Dass er einen 13-jährigen Jungen entdecken, ihm die Tennistasche um dessen Schultern auffallen, er ihm daher „Hey, John McEnroe“ zurufen würde… maximal unwahrscheinlich.

Genau diese Episode beschreibt Journalist Jon Wertheim. Denn damals, im Frühling 1984 in Bloomington, Indiana, war alles noch in bisschen anders. Eine Woche Tryouts standen an, an deren Ende das Team USA für die Olympischen Spiele in Los Angeles, ein klarer Goldkandidat, stehen sollte.

Ms. Pac-Man, Cafeteria und Highschool Prom

Also kamen die größten Talente des Landes. Schliefen in Dorms. Stellten sich in der Cafeteria der Indiana University an, um Mahlzeiten zu bekommen, die von Sternemenüs in etwa so weit entfernt waren wie Bloomington, Indiana, vom Nabel der Welt. Abseits der Tryouts mischten sie sich unter die Menschen, spielten Ms. Pac-Man, gingen Eis essen, crashten eines Abends den Abschlussball der Eastern Greene Highschool.

Ein normales Leben noch halbwegs normaler Nachwuchsathleten – wenn auch äußerst spartanisch. Knight, ganz die eiserne Hand, die ihm jeder Weggefährte bescheinigt, setzte auf Minimalismus. Die Halle: billig und stickig. Die Transportfahrzeuge: nicht zwingend für Menschen überdurchschnittlicher Körpergröße konzipiert. Annehmlichkeiten: ausgeklammert.

„Wir trugen unsere Taschen alle selber und stapelten uns dann in diese Busse“, erinnert sich Joe Kleine, später immerhin 15 Jahre in der NBA. „Es war wie Camp Wong-a-Monga. Nur, dass du dich im Bus umschautest, und über den Gang saß Michael Jordan, in der Reihe hinter dir Charles Barkley und vor dir Patrick Ewing.“

Harte Schule für zukünftige Hall of Famer

Zwar bestand das Team USA 1984 ausschließlich aus Amateuren, beim Alumni-Treffen heute träfen jedoch 37 Erstrundenpicks, 12 All-Stars und sieben Hall of Famer aufeinander. 1984 versammelten sich schlicht 73 hochtalentierte Menschen, um einen einzigen zu überzeugen, einen der zwölf Roster-Plätze zu verdienen. Nicht, dass Knight allein gearbeitet hätte. Seinem Coaching-Staff gehörte unter anderem Mike Krzyzewski an. Gleichzeitig verfolgte Knight eine klare Philosophie, dank der seine Indiana Hoosiers bereits zwei NCAA Championships gewonnen hatten.

Sie fußte auf Defense und unzähligen Cuts vorne, verlangte konstante Bewegung und Selbstlosigkeit. Dafür suchte Knight nach Big Men, die defensiv große Räume abdecken, die rebounden konnten und nicht zwingend scoren mussten. Guards sollten über den gesamten Court pressen, Wings vielseitig sein. Angesichts drohender Zonen-Verteidigungen bei Olympia wollte Knight zudem Schützen.

Jordan: „dummes Foul“

NCAA, College League, USA Basketball: USA TODAY Sports-Archive Mar 22, 1983; Atlanta, GA, USA; FILE PHOTO; North Carolina Tar Heels guard Michael Jordan (23) in action against the Clemson Tigers during the 1983 ACC tournament quarter final at The Omni. The Tar Heels defeated the Tigers 105-79. Atlanta Georgia UNITED STATES, EDITORIAL USE ONLY PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xMalcolmxEmmonsx 8453124
Michael Jordan spielte auf dem College für North Carolina. IMAGO/USA TODAY Network

Unterschiedliche Anforderungen. Über 70 Spieler. Für den passenden Überblick ließ sich Knight inmitten der Halle ein Baugerüst errichten. Von dort schaute er genau hin und notierte seine Eindrücke. Filter ließ er dabei naturgemäß Filter bleiben. Ein paar Auszüge aus Knights Notizen:

…verliert den Ball aus den Augen – Hilft im Post nicht aus.

…hat keinen Defensive-Stance – schwache Post-Defense – dummes Foul.

…tötet sein Dribbling und kann seine Passwinkel nicht verbessern.

…wirft den Ball ohne Sinn Richtung Baseline.

…fehlt defensive Aufmerksamkeit.

…spaziert einfach durch die Lane – sucht nicht nach Screening-Möglichkeiten, um die Offense zu initiieren.

…hat einen schwachen Defensive-Stance, bringt keinen Druck auf Passing-Lanes.

…erzwingt schlechten Wurf, obwohl offene Mitspieler an der Freiwurflinie aufposten.

1984: Draft trifft Olympia-Vorbereitung

Ein Coach mit Hang zum Mikro-Management, der Spielern noch dazu maximal deutlich Defiziturteile überbringt. Es hätte Probleme geben können. Gab es nicht. „Ich erinnere mich noch, wie laut es war, als wir uns alles zum ersten Mal trafen“, erzählte Kentucky-Guard Jim Master später. „Wir schrien und kreischten wie Kinder. Dann kam Knight herein, und du konntest eine Stecknadel fallen hören. So viel Respekt hatte er.“

Die USA, da ließ Knight keinen Millimeter Zweifel aufkommen, sollten, mussten, würden das Turnier gewinnen. Die Theorie forderte da maximale Abschirmung vor jeder Ablenkung. Die Praxis bescherte Knight wenige Tage vor dem finalen Cut den Draft, die Chance auf den Bruchteil eines Augenblicks, der aus College-Athleten Profisportler mit bestens gepolstertem Bankkonto macht.

Abgereist war dennoch niemand. Zwar fand der Draft im Felt Forum des Madison Square Garden in New York statt, die Spieler blieben aber in Bloomington. Unmittelbar vor und nach dem Draft standen Trainingseinheiten an. Um dennoch direkte Reaktionen zu bekommen, organisierte USA Network gemeinsam mit WTTV ein Studio, in das jeder ausgewählte Spieler direkt geführt wurde.

Mütze des neuen Teams auf. Fragen beantworten. Zurück zu Olympia. So forderte es Knight. „Coach tat nicht so, als habe der Draft nicht stattgefunden“, erinnert sich Tim Garl, Head Trainer des Team USA später. „Aber er sagte ‚Hey, ihr müsst die Olympia-Sache zuerst durchziehen. Wir haben einen Job zu erledigen.’“

Jordan? „Der beste, den ich gesehen habe“

Dafür brauchte er Jordan. Er sei „der beste Basketballer, den ich je gesehen habe.“ So gut sogar, dass jedes Team, das ihn im Draft nicht zöge, es später bereuen würde. Knight wollte Blazers-GM Stu Inman daher überzeugen, Jordan zu draften. „Wir brauchen einen Center“, entgegnete Inman. „S***, nimm Jordan und lass ihn Center spielen.“ Knights Worte blieben ungehört.

Die Zuneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Zwar erzählte Jordan später, er hätte die Einladung dankend abgelehnt, hätte er gewusst, was auf ihn zukommt. Über die Zeit lernte er Coach Knight jedoch schätzen. Vor einem Spiel – so erzählt es Bobby Knight in „Knight: My Story“ – hinterließ er seinem Coach sogar einen gelben Zettel. Botschaft: „Coach, keine Sorge. Wir haben zu viel Sch**** mitgemacht, um jetzt zu verlieren.“

Jordan: Martin Luther King und adidas statt Nike

Überhaupt war Jordan 1984 noch nicht die grenzenlos ehrgeizige Siegesmaschine, die die Welt in „The Last Dance“ vorgestellt bekam. Er gliederte sich gern ins Team ein, bewegte sich unbeschwert durch die Stadt. Seine Mitspieler mochten ihn.

Besonders gut kam Jordan mit George Raveling, dem einzigen schwarzen Assistant Coach zurecht. Gerade dessen Erzählungen von Martin Luther Kings „I have a Dream“-Rede lauschte Jordan mit Vorliebe. Raveling war in Washington selbst auf der Bühne gewesen und hatte von Dr. King sogar das Originalmanuskript bekommen.

Weniger zugänglich war Jordan für Ravelings Schuh-Vorschläge. Er solle doch – Achtung, Paradoxon – Nikes tragen, versuchte Raveling Jordan zu überzeugen. Der schüttelte nur den Kopf und schlüpfte frei nach Run D.M.C. in seine adidas. Dinge ändern sich…

Der „Bus of Shame“ und ein glücklich gecutteter Barkley

Was konstant blieb: 1984 wie 1991 oder 1998 war Jordan der Star. Der Rest kam danach – oder war am Ende gar nicht dabei. Bis auf 20 Spieler hatte Coach Knight seinen Kader zunächst zusammengestaucht. Ein Mini-Camp entschied über die finalen Roster-Plätze – und weder John Stockton, noch Terry Porter und Charles Barkley überstanden den finalen Cut. Dazu saß Maurice Martin im „Bus of Shame“, wie ein Spieler die Mitfahrgelegenheit weg vom Olympiatraum taufte. Stockton hatte sich dafür mit Karl Malone – ebenfalls Opfer eines frühzeitigen Cuts – angefreundet. Der Anfang eines Pick-and-Roll-Bunds fürs Leben.

Indiana coach Bobby Knight gives the okay sign at a news conference following his team's victory over Syracuse for the NCAA Championship in New Orleans, La., Mar. 30, 1987. (AP Photo/Bob Jordan)
Bobby Knight war ein Coach der alten Schule. picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Barkleys Aus kam einerseits überraschend. Sein Ballhandling, sein Speed, seine Power bei damals schon mehr Rundungen als beim Durchschnittsathleten hatten offene Münder hinterlassen. Andererseits: „Nicht alle Coaches wollten Barkley“, erinnert sich Purdues Gene Keady. Bob Weltich, Leiter der Trials widerspricht der Wahrnehmung, Knight habe Barkley nie behalten wollen. „Er wollte. Er wollte nur sichergehen, dass Barkley bereit wäre, sich in Form zu spielen und beim Mini Camp bereit zu sein.“

Es reichte nicht ganz. Auch weil Knight Jordan als primäre Offensivoption vorgesehen hatte und wegen Barkleys Scoring-Punch Probleme roch. Gleichzeitig spielte Barkley – wie viele andere Prospects – erfolgreich vor Scouts vor und gab später sogar zu, ohnehin mehr auf den NBA-Traum fokussiert gewesen zu sein. Seinen Platz hätte er sich daher gar nicht verdient. Am Ende der Trials stand der Nummer-5-Pick, dafür kein Olympiaticket. Fairer Trade-off. Neben Jordan spielten dafür Steve Alford, Patrick Ewing, Vern Fleming, Joe Kleine, Jon Koncak, Chris Mullin, Sam Perkins, Alvin Robertson, Wayman Tisdale, Jeff Turner und Leon Wood in L.A.

Wobei sie nicht nur spielten. Team USA dominierte. Im Finale unterlag Spanien mit 65:95. Der Plan hatte funktioniert – und war gleichzeitig der letzte Funken Unschuld vieler Karrieren. Jordan, bei den Olympischen Spielen US-Topscorer, zündete in der NBA direkt und kehrte zum All Star Game 1985 nach Indiana zurück. Noch hatte er nicht vergessen. „Hey, John McEnroe“, rief er als, er unter Autogrammjägern einen mittlerweile 14-jährigen Jungen aus Bloomington entdeckte.

© – by kicker.de

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